Askanasy-Mahler, Anna Helene (1893-1970)--DB9326

Askanasy-Mahler, Anna Helene (1893-1970)--DB9326

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Person

Lebensdaten

09.11.1893-17.05.1970

Mädchenname, Herkunftsort bzw. Heimatort

Anna Helene Mahler; Wien

Zivilstand, Konfession, Nachkommen

Verheiratet mit Askanasy, Simon (1882-1938)--DB12567; Mutter von Askanasy, Elisabeth (1919-2017)--DB12568 und Dolman-Askanasy, Leonore (1921-1988)--DB12569; Grossmutter von Dolman Roosma, Jennifer Elizabeth--DB12570, John Dolman, Peter Dolman

Soziale Herkunft, verwandtschaftliche Beziehungen

Tochter von Sigmund Mahler und Malvine Gutmann; 5 Brüder, unter anderem Mahler, Fritz--DB12782 und Benno Mahler; Nichte von Gustav Mahler

Ausbildung, berufliche Tätigkeit und Funktionen in der Öffentlichkeit

Ausbildung

Berufsausübung

Schriftstellerin

Funktionen in landwirtschaftlichen Institutionen

Funktionen in anderen Institutionen

Women's School for Citizenship: Gründerin; Women's Organisation for World Order (WOWO): Mitbegründerin und Mitglied 1935-; Women's Call Club: Gründerin; Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF): Mitglied

Funktionen in der Politik

Biographische Skizze

Anna Helena Askanasy 'ist uns als Schriftstellerin nicht bekannt', teilte der Schweizerische Schriftstellerverband im April 1938 dem Arbeitsamt in Luzern mit, das den SSV um eine Stellungnahme zum Gesuch von Askanasy um eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung als Schriftstellerin gebeten hatte. Man habe ihren Namen auch im Literaturkalender von Kürschner nicht gefunden. Das von Askanasy verfasste Drama 'Spinoza und de Witt' habe man gelesen, schrieb der Verband weiter, es mache den Eindruck einer tüchtigen Leistung. Aber als 'Bereicherung unseres geistigen Lebens' stufte der SSV das literarische Schaffen der 1893 in Wien geborenen Schriftstellerin und engagierten Feministin nicht ein. Eine Arbeits- und Niederlassungsbewilligung für die am Vorabend des Anschlusses von Österreich an Nazideutschland mit ihren zwei Töchtern in die Schweiz geflohene Askanasy lehnte der SSV deshalb ab. Dieser Haltung schlossen sich auch die Behörden an, obwohl Simon Askanasy, der Mann von Anna Helene und Vater der Töchter, inzwischen in einem Wiener Gefängnis von den Nazis ermordet worden war. Anna Helene und ihre Töchter reisten deshalb im Herbst 1938 via England, das ihr im Vergleich zur Schweiz geradezu 'anständig, warm und hilfsbereit' vorkam, nach Kanada, wo sie sich 1939 in Vancouver niederliess.

Anna Helene Askanasy-Mahler war hierzulande keine Unbekannte, als sie Anfang 1938 bei der Fremdenpolizei um eine Aufenthaltsbewilligung für sich und ihren Mann nachsuchte. Sie hatte sich in den letzten zehn Jahren immer wieder in die Schweiz aufgehalten, wo sie Verwandte und viele Bekannte hatte. So lebte ihr Bruder Fritz Mahler, der zusammen mit Simon Askanasy Eigentümer eines Ingenieurunternehmens war, schon seit dem Vorjahr in Zürich. Zudem war sie mit dem Verleger Emil Oprecht befreundet, mit dem zusammen sie 1934 in Wien einen Frauenverlag gründen wollte, weil sie überzeugt war, dass die Frauen einen eigenen Verlag brauchten, um sich von der 'literarischen Vormundschaft der Männer zu befreien'.

Kontakt hatte Anna Helene Askanasy auch mit Clara Ragaz, die sich in Zürich (wie Askanasy in Wien) in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) engagierte. Im Frühling 1935 weilte Askanasy in Zürich, um Ragaz für ihre Bestrebungen zur Verjüngung und inhaltlichen Erweiterung der 1915 gegründeten IFFF zu gewinnen. Aber die Präsidentin des Schweizer Zweigs der IFFF konnte sich nicht vorstellen, dass die pazifistische IFFF die Idee einer Weltregierung und einer Weltpolizei oder gar das Anliegen einer international durchgeführten Geburtenkontrolle als Teil einer umfassenden Bevölkerungspolitik in ihr Programm aufnehmen würde. Zwar teilten Mitglieder der IFFF diese Anliegen, die von Askanasy in der ersten Hälfte der 1930er Jahre zusammen mit anderen Feministinnen im Wiener Call Club entwickelt worden waren, aber insbesondere die ältere Generation der IFFF-Aktivistinnen wollte davon nichts wissen.

Weil die IFFF 'verkalkt' gewesen sei und 'sich hartnäckig dagegen' gewehrt habe, 'von uns, der jüngeren Generation, neues Blut zuführen zu lassen', sei ihnen gar nichts anderes übriggeblieben, als eine eigene Organisation zu gründen, schrieb Askanasy 1959 in ihren Erinnerungen, die 2022 veröffentlicht wurden. Dazu organisierte sie zusammen mit der dänischen Journalistin Ellen Hoerup im September 1935 in Genf einen Kongress, an dem rund drei Dutzend Aktivistinnen aus elf europäischen Ländern während zehn Tagen am Programm der neu gegründeten 'Women’s Organisation for World Order' (WOWO) arbeiteten. Mit der Gründung der WOWO wollten die Frauen 'die totale Unordnung der patriarchalen Welt in Ordnung zu bringen'. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten auch die schwedische Schriftstellerin Elin Wägner und die österreichische Antifaschistin Irene Harand. Aus der Schweiz kamen Vorkämpferinnen für das Frauenstimmrecht wie Hedwig Anneler und Journalistinnen wie Elisabeth Thommen, die als Berichterstattung zum Kongress anreiste und ihn als WOWO-Aktivistin verliess. Angesiedelt wurde die WOWO in Genf, weil hier auch der Sitz des Völkerbundes war, der nach dem Willen der WOWO gegenüber den Nationalstaaten gestärkt werden sollte.

Askanasy betrachtete die WOWO als Teil der 'zweiten' Frauenbewegung, die nun an die Stelle der 'ersten' zu treten habe, weil diese mittlerweile ihre Ziele, nämlich die 'gleiche Schulbildung für Frauen und Männer, Zulassung zu sämtlichen Berufen sowie Stimmrecht für die Frauen' erreicht habe. Habe die erste Frauenbewegung noch den Beweis erbringen müssen, dass Frauen die gleiche Denkkraft besässen wie Männer, so sei es nun die Aufgabe der 'zweiten Frauenbewegung', die 'katastrophale Formen annehmende Zerstörungslust der Männer zu korrigieren'. Dafür aber genüge es nicht mehr, die eine oder andere Frau ins Parlament oder als Minister zu wählen, vielmehr müssten Parlamente wie Regierungen strikt zu je 50 Prozent den beiden Geschlechtern zufallen. '50/50 muss das neue Schlagwort der zweiten Frauenbewegung werden, die wir mit der WOWO eingeleitet' haben.

Während des Genfer Kongresses machte Anneler, Hedwig (1888-1969)--DB10246 auf eine Bäuerin aus Ebmatingen bei Zürich aufmerksam, die 'Bücher über Land- und Bodenreformen' geschrieben habe. Mehr über Hofstetter, Mina (1883-1967)--DB1638, die ihren Betrieb am Greifensee seit den 1920er Jahren viehlos bewirtschaftete, erfuhr Askanasy von Elisabeth Thommen, die sowohl Kontakte zu Hofstetter wie auch zum Call Club in Wien pflegte, wo sie im November 1935 über die 'Krise der Schweizer Demokratie und die Frauen' referierte. Schon ein halbes Jahr später, im März 1936, besuchte Askanasy Mina Hofstetter in ihrer 'Lehrstätte für biologischen Land- und Gartenbau' in Ebmatingen. Das Essen schmeckte ihr vortrefflich, 'vor allem das Brot'.

Ein Jahr später teilte Askanasy der Schriftstellerin Wägner, Elin (1882-1949)--DB3699, der Nachfolgerin Selma Lagerlöffs im Nobelpreiskomitee, mit, sie habe in der Schweiz eine 'Reformbäuerin' entdeckt: 'Da habe ich eine Frau in der Schweiz ausgegraben, die eine einfache Bäuerin mit 7 Kindern ist und aber gar nicht so einfach ist, denn sie hat ohne irgend etwas je von Matriarchat gehört zu haben, aus innerster Initiative angefangen, den Boden nach uralt matriarchalen Riten zu bearbeiten.' Hofstetter richte Anbau und Ernte nach dem Mond, dünge nicht mehr mit Viehdünger, habe die Viehwirtschaft überhaupt abgeschafft und mache nur noch Gründüngung; sie pflüge nicht mehr, hacke die Erde nur noch und erziele damit 'fabelhafte Resultate' fasste Askanasy ihre Eindrücke zusammen. Diese Frau habe sie zum nächsten WOWO-Kongress eingeladen; Hofstetter sei überglücklich, dass sie die WOWO gefunden habe, weil es endlich Frauen seien, die für ihre Arbeit Verständnis zeigten.

Am dritten WOWO-Kongress, der 1937 in Bratislava stattfand, hielt Mina Hofstetter dann das Hauptreferat. Sie erklärte, heute herrsche in den Teilen der Erde, die sich kultiviert nennen würden, der Machtwille des Mannes. Menschen, insbesondere Frauen mit sehenden Augen und fühlendem Herzen könnten deshalb nicht länger untätig bleiben, sie müssten 'versuchen zu handeln, diesen Zuständen, die uns alle ins Verderben führen, ein Ende zu setzen'. Den vierten Kongress führten die WOWO-Frauen, darunter Jüdinnen aus Österreich und anderen Ländern der ehemaligen Habsburgermonarchie im Juli 1938 in Luzern durch. Sie deklarierten ihn als 'harmlose Zusammenkunft von an landwirtschaftlichen Fragen interessierten Frauen', um keine Beobachtung durch die Fremdenpolizei auszulösen. Die Zusammenkunft in Luzern, an der auch Mina Hofstetter teilnahm, wurde dann zum Gegenpol der Männerkonferenz von Evian umfunktioniert, die ein paar Tage zuvor begonnen hatte. Unter dem Eindruck, dass die Versammlung von Evian nicht die Flüchtlinge, sondern die Regierungen vor den Flüchtlingen schützen wollte, nannte sich die WOWO in Luzern vorübergehend in 'International Women’s Emergency Committee' um. Zudem reisten zwei WOWO-Delegierte an den Lac Léman, um aus erster Hand über die Beratungen zu berichten. Diese meldeten nach Luzern, Evian sei 'eine Beratung der Regierungen vieler Länder, die sich vor den Flüchtlingen schützen, aber nicht den Flüchtlingen Hilfe bringen' wollten. Daraufhin verabschiedeten die in Luzern versammelten WOWO-Frauen eine Botschaft an die Konferenzteilnehmer von Evian, in der sie u. a. 'die Öffnung der Grenzen aller Länder der Erde' forderten, die für sich 'den Anspruch auf Kultur und Moral' erhoben. Denn, so die WOWO-Stellungnahme weiter, es gebe 'keine illegalen Flüchtlinge', es gebe 'nur illegale Verfolger'. Diese Botschaft wurde von Irene Harand persönlich nach Evian gebracht. Mit der Begründung, dass sie im Namen der Frauen und Kinder spreche, die zwei Drittel der Flüchtlinge ausmachten, verschaffte sich Harand, obwohl nicht eingeladen, Zutritt und verlas das Schreiben in drei Sprachen.

Als Askanasy im Herbst 1939 mit ihren Töchtern in Kanada eintraf, half sie vielen anderen jüdischen Flüchtlingen bei der Einreise. Zusammen mit anderen Exponentinnen der WOWO plante sie zudem die Errichtung einer Matriarchatssiedlung, in der die Frauen das Sagen haben sollten. Als 'Haupt des Clans' sah Askanasy Mina Hofstetter vor. Diese war begeistert: 'Das muss ein Leben werden! Vorbildlich für die ganze Welt! Liebe Frau Askanasy, wenn Sie das fertigbringen, dann sind Sie die Neuschöpferin einer neuen Weltordnung!' schrieb Hofstetter und schickte gleich einen schriftlichen Plan für die Durchführung der Landwirtschaft in einer solchen Siedlung mit. Weil Hofstetter jedoch nur temporär, 3-4 Monate pro Jahr, nach Kanada auswandern wollte und sich auch Elin Wägner gegen eine permanente Emigration entschied, kam die Matriarchatssiedlung im Westen Kanadas dann nur ansatzweise zustande.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg pflegte Askanasy noch Kontakte zur Schweiz – in der sie in der Zwischenzeit eine Aufenthaltsbewilligung erhalten hatte. Nachdem sie im Oktober 1947 den von der 'Entente Mondiale pour la Paix' organisierten Frauen-Weltkongress für den Frieden im UNESCO-Gebäude in Paris besucht hatte, an dem auch Hofstetter teilnahm, reiste Askanasy noch einmal auf deren Hof am Greifensee, wo sie ins Gästebuch schrieb: 'Verzweifeln ist leicht, aber seinen Optimismus behalten, das ist entweder Starrheit oder Heldentum.'

Auch die Kontakte zu literarischen Kreisen in der Schweiz hielt Askanasy nach dem Krieg aufrecht. Für das von Blanche Olschak und Gustav Keckeis redigierte 'Lexikon der Frau', das 1954 in zwei Bänden im Encyclios Verlag in Zürich erschien, schrieb sie nicht nur einen Artikel über 'Vorurteile gegen Frauen', sondern erhielt nun, unter dem Lemma M, auch einen Eintrag als 'österreichisch-kanadische Schriftstellerin'. Das dort angekündigte Buch, 'Die Katastrophe des Patriarchats', schrieb sie, aber gedruckt wurde das Manuskript bislang nicht.

Autor: Peter Moser

Quellen und Literatur

Eigene Publikationen

  • Vorurteile (gegenüber Frauen), in: Lexikon der Frau, 2 Bände, Zürich 1954
  • Spinoza und De Witt. Neun Bilder vom Kampf der 'Freiheit' um die Republik, Wien 1931
  • The Problem of Statelessness (people Deprived of Nationality): Some Facts, Arguments and Proposals Presented to an International Conference Called by the Women's International League for Peace and Freedom, Geneva 1930, edited by: Women's International League for Peace and Freedom

Quellen

  • AfA Personendossier Nr. 2227
  • Gothenburg University Library: Elin Wägners samling: Korrespondens med Anna Helene Askanasy 1938
  • Gothenburg University Library: Elin Wägners samling: Korrespondens med Mina Hofstetter 1938
  • Gothenburg University Library: Elin Wägners samling: Korrespondens med Elin Wägner 1935-1947
  • London School of Economics Library: The Women's Library: Archives: Ref. No.: Strand/07. Titel: Personal Papers. 7AHA Papers of AH Askanasy (c.1950)
  • Moser, Peter, Mina Hofstetter. Eine ökofeministische Pionierin des biologischen Landbaus. Texte und Korrespondenz, München 2024
  • Sophia Smith Collection of Women's History Repository: Alice Morgan Wright papers. SERIES V. SUBJECT FILES, 1912-94: Birth control: correspondence (letters from Margaret Sanger, others at Planned Parenthood, and A. H. Askanasy), 1948-61, undated
  • Vancouver Holocaust Education Centre: Anna Helen (née Mahler) Aszkanazy collection: Helen Anna Mahler Askanasy (1958): Meine Erinnerungen. Buch I, II, III
  • Vancouver Holocaust Education Centre: Anna Helen (née Mahler) Aszkanazy collection: Anna Helen Aszkanazy (nach 1958): Book IV of my Recollections
  • E. Th.: Sieben Frauen in Wien, in: Zürcher Illustrierte Heft 9, E-Periodica

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